Beim Karneval werden die Dinge auf den Kopf gestellt. Alles wird und ist verkehrt. Ähnliches geschieht bei einigen Erntedank-Festen, wenn die Damen und Herren die Mägde und Knechte bedienen. Das ist sicherlich alles als alljährlicher wie gleichwohl einmaliger Scherz gedacht, um damit umso mehr die wahren Verhältnisse zu unterstreichen.
Auch wenn Kolonialismus und Sklaverei formal abgeschafft sind, hat sich an den wahren Verhältnissen de facto wenig verändert. Oder hätte die Reinigungskraft nicht auch Kanzler*in werden können, wenn sie nur gewollt hätte? Es ist eine Illusion zu glauben, dass heutzutage soziale wie kulturelle Herkunft ohne Belang seien. Das Recht auf Emanzipation und Freiheit ist zwar gesetzlich festgelegt, aber in der Praxis schwerlich durchzusetzen. Wer weiß warum? Und: wo kämen wir denn hin, wenn jede/r machen könnte, was er/sie wollte? Immerhin sprechen wir jetzt mit Gendersternchen und applaudieren statt angemessene Löhne und Beschäftigungsverhältnisse einzufordern. So sind und bleiben hohe Gehälter für Manager*innen im Vergleich zu geringen Löhnen von Reinigungs- und Pflegekräften, Supermarktkassierer*innen oder Sanitäter*innen quasi gottgegeben. Oder: wir wollen es nicht anders – oder: wir haben es nicht anders verdient – oder: jede/r nach seiner und ihrer Leistung.
Die inflationäre Verwendung von Gleichheits- und Freiheitsbegriffen zur Verdeutlichung unseres Glücks im Vergleich zu den in Unfreiheit lebenden und von Autokraten beherrschten Gesellschaften erscheint erst bei der Vergegenwärtigung der tatsächlichen und eigenen (Un)gleichheit und (Un)freiheit als fade. Doch wer wagt es schon, sich seine eigene Unfreiheit einzugestehen und Sklave eines unfreien und ungleichen Ordnungssystems zu sein, dass formal behauptet, Freiheit und Gleichheit für jede/n Einzelne/n zu garantieren. Denn: wir haben es so gewollt. Denn: wir leben ja in einer freien Gesellschaft, in der jede/r gleiche Rechte und Chancen hat. Merkwürdig, wenn ich darüber nachdenke.
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