Seit Platons Höhlengleichnis sind einige Jahrhunderte vergangen. Aber im Vergleich zu den urgeschichtlichen Höhlenmalereien, ist es ein geringer Zeitabschnitt. Im gewissen Maße lässt sich von Platons Höhlengleichnis seine Ablehnung illusionistischer Malerei ableiten: eine imaginäre Wirklichkeit, die lediglich ein blasses Abbild der Realität widerzuspiegeln vermag.
Auch im Hinblick auf die figurativen Höhlenmalereien der Altsteinzeit ließe sich Platons Kritik übertragen. Denn diese Malerei stand der des 4. Jahrhunderts v.u.Z., also dem Jahrhundert, in dem Platon lebte und wirkte, in Nichts nach. Im Gegenteil. Die Figuren müssen im Lichtschein brennender Fackeln so lebendig wie jene eines Lichttheaters jüngerer Tage gewirkt haben.
Doch heute wissen wir nichts von der Funktion und Bedeutung der von unseren Ahnen abgebildeten Fauna. Wir können lediglich die Spezies abgebildeter Kreaturen erkennen. Ob diese jedoch auch die Tiere selbst abbildeten, deren Geist oder was auch immer, bleibt ein Geheimnis. Nicht weniger bedeutsam wie geheimnisvoll sind abstrakte Zeichen, deren Sinn und Bedeutung im Gegensatz zu ägyptischen Hieroglyphen bis heute nicht erfasst werden konnten. Nichtsdestotrotz fanden viele der Zeichen in der Modernen Kunst ihre Wiederauferstehung. Damit werden die Zeichen quasi ästhetisiert, umgedeutet oder vielmehr ihrer Bedeutung entleert.
Ich sehe darin eine Entwürdigung urzeitlicher Kunst und eines Wissens, das wir selbst nicht einmal ansatzweise verstehen. In der Aneignung frühgeschichtlicher Zeichensysteme sehe ich auch keinen Unterschied zu der selbstverständlich gewordenen Aneignung exotischer Masken oder Webmuster kolonialisierter Völker.
Mir bleibt nichts anderes, als mich vor der Größe einer uralten Wissenskunst zu verneigen. In diesem Zusammenhang beinhaltet Utopische Malerei das Bemühen, sich jenen Einsichten und Erkenntnissen anzunähern, die vor Jahrtausenden errungen worden, aber zugleich auch wieder verloren gegangen sind. Eine Renaissance dieser großartigen Wissenskunst steht noch aus.
Um aus der Höhle der Schattenbilder hinauszukommen müssen wir erst einmal in die Höhle hinein.
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Silke Gonzalez Leon (Montag, 20 Mai 2019 17:43)
Ein interessanter Beitrag. Auch ich geriet gestern in eine intensivste Beschäftigung mit steinzeitlicher Höhlenmalerei und Platons Höhlengleichnis. Und auch ich tat etwas Ähnliches wie schon andere, wesentlich bedeutendere Künstler der Moderne. Ich nahm die Figuren auf, zeichnete sie nach, vermischte sie mit meinen Farbwelten. Ja, es ist eine Übernahme eines kulturellen Ausdruckes, den wir in seiner Ganzheit nicht wirklich verstehen. Aber ich glaube, dass gerade ein Gefühl für diese Darstellungen etwas erfasst, was uns gerade heute in einer Zeit riesiger Ausmaße eines Artensterbens wieder zurückführt zu einer Achtung für das Leben jeglicher Kreatur. Ich sehe die Ambivalenz und wünschte mir mehr Auseinandersetzung um das Handeln der Menschen auf diesem einzigartigen Planeten.