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Die Illusion der Wirklichkeit

Gemuese, Obst, Kohl, Karotten, Trauben, Pflaumen, Zwiebeln, Kartoffeln, Tisch
Stilleben, Acryl auf Baumwolle, 40 cm x 30 cm, 2019

Meine Faszination von Bildern ist mir in die Wiege gelegt. Doch soweit mein Erinnerungsvermögen reicht, glaube ich nicht, dass diese Faszination zuerst von Buchillustrationen, Zeichnungen, Gemälden oder Fotos ausgegangen war, sondern von profanen Dingen wie eine Raufasertapete oder schwarzweißen Bodenfliesen, in deren abstrakte Strukturen ich zu lesen begann und eine Bilderwelt entdeckte, die meine eigene war.

 

Neulich beobachtete ich ein etwa zweijähriges Kind, wie es begeistert die Reflexionen in einer Wasserpfütze betrachtete. Bei dem Bild, das das Kind sah, handelt es sich um etwas, das zunehmend aus unseren Blick geraten ist, weil die Bilderwelt von Smartphones und Flachbildschirmen unser Sehen vielleicht nicht beherrscht, so doch stark beeinträchtigt. Vor einigen Jahren erzählte mir jemand, dass ihm im Vergleich zu den Fotos des Grand Canyon, die Wirklichkeit dieser Felsformation enttäuscht habe.

 

 

Die Sehgewohnheiten ändern sich. Spätestens seit der Renaissance haben wir angefangen, den Blick für eine Wirklichkeit zu verlieren, die verglichen mit den neu erschaffenen Bilderwelten der Zentralperspektive unwahr erscheinen musste. Im 19. Jahrhundert, in dem nur noch wenige Maler ohne dem Hilfsmittel einer Fotokamera arbeiteten, triumphiert die auf der Grundlage einer Fotografie gemalten Wahrheit über die überkommene Bilderwelt der Menschheit. Der Titel eines Ölbilds von Jean-Léon Gérôme aus dem Jahr 1896 will Glauben machen „Die Wahrheit entsteigt ihrer Quelle, um die Menschheit zu züchtigen“. Doch nicht erst seit den fotorealistischen Gemälden des 19. Jahrhunderts, stellten sich malende Künstler*innen dieser wahren Sichtweise entgegen und brachten ihre eigene Wirklichkeit auf die Leinwand. El Greco gehörte zu den Malern, die trotz der ihm durchaus bekannten „visuellen Wahrheit“ Bilder malte, die der Zentralperspektive trotzten. Während mich seine Gemälde stundenlang in Bann ziehen, verliere ich bei fotorealistischen Abbildern schon nach wenigen Sekunden jegliches Interesse. So bevorzuge ich es, Bilder zu entdecken und zu malen, die meiner eigenen Wirklichkeit entsprechen. 

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