Angesichts der aktuell angebotenen Zeichen- und Mal-Programme kommt das „Malen nach Zahlen“ sicherlich etwas altertümlich daher. Nichtsdestotrotz beschreibt es sehr gut, was die neue Welle begnadeter Scharlatane begünstigt. Aber dies vorweg, das müssen die Pseudokünstler*innen mit sich selbst ausmachen.
Mein Vater war Zeit seines Lebens ein autodidaktischer Hobbymaler gewesen. Nach minderwertigen Bildvorlagen, zumeist Postkarten, kopierte er Meisterwerke von Rembrandt, Rubens oder auch Landschaften vergessener Künstler*innen. Seine Kopien waren allseits beliebt und landeten zumeist als Geschenke bei Verwandten und Freunden. Mitunter nahm er auch Aufträge von Arbeitskollegen an und malte für sie zu viel zu niedrigen Preisen. Die lobenden Worte über seine Kunstfertigkeit waren für meinen Vater und zum Ärger meiner Mutter offenbar wichtiger als jeder materielle Lohn. Ungeachtet blieben indessen Zeichnungen und Aquarelle, die nach der dreidimensionalen Natur entstanden. Insbesondere seine Bleistiftskizzen nach der Natur waren von hoher Qualität.
Mein Vater, der nebenbei so ziemlich alle denkbaren Handwerksarbeiten beherrschte, war leider kein guter Lehrer. Zumeist begrenzte er meine Tätigkeit auf die des Handlangers und gönnte mir selten eigene Produktionen. Ich erinnere mich nur an zwei Gelegenheiten, wo er mich selbständig zeichnen und malen ließ. Einmal ging er mit mir zusammen in den Wald, um an einem Weiher zu zeichnen. Ein anderes Mal gab er mir die Gelegenheit, mit Ölfarben nach einem Motiv von Franz Marc zu malen. Dabei stellte ich mit Verwunderung fest, wie schwierig es doch war, scheinbar einfache Formen und Farben auf den Malgrund zu bringen.
Obwohl mein Vater alles andere als ein guter Pädagoge gewesen war, reifte durch ihn der Wunsch in mir, Kunstmaler zu werden. Er gab mir den Impuls, sehen zu lernen. Heute treibt mich meine Erinnerung an ihn an, meine Gemälde immer wieder aufs Neue zu überprüfen und mich nicht so schnell mit den Ergebnissen zufrieden zu geben. Selbst in den Kritiken meiner Frau und Künstlerkollegin, Jennifer Jennsel, glaube ich oftmals seinen kritischen Blick wiederzufinden. Und ich weiß, ohne meinen Vater, an dem ich mich bis zum heutigen Tag reiben und abarbeiten muss, hätte ich meinen Weg zu malen niemals antreten können. Heute bin ich mir sicher, dass er das wusste.
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